Schuster, bleib bei deinem Leisten – das Sprichwort ist sicher jedem geläufig. Doch genau das Beschränken auf die erlernten Fähigkeiten ist es, die sich ein Schuhmacher heutzutage nicht mehr leisten kann. Zu stark ist die Konkurrenz durch die maschinelle Produktion. Der Fokus liegt heute auf dem Verkauf und der Reparatur – nicht nur von Schuhen.

Jeden Tag liefern unsere Füße Höchstleistungen ab. Die äußerst komplexen und sensiblen Gliedmaßen tragen unser gesamtes Körpergewicht – und das zwischen 25 bis 50 Prozent unserer Lebenszeit. Der Mensch legt währenddessen durchschnittlich eine Strecke zu Fuß zurück, die drei Mal um den Erdball führt. Doch trotz der enormen Anstrengungen, die die Füße zu leisten haben, werden sie meist nur stiefmütterlich behandelt. Vor allem beim Schuhkauf zählen Preis und Aussehen mehr als die perfekte Passform und somit die Gesundheit der Füße. Das bekommen auch die Schuhmacher zu spüren. Das einst hoch angesehene und notwendige Handwerk pflegt mittlerweile ein Nischendasein. Seit der Einführung der maschinellen Schuhproduktion um 1870 ging die Zahl der Betriebe sukzessiv zurück. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks zählt Ende Juni 2017 nur noch 2363 Betriebe, darunter 44 in Sachsen-Anhalt.

Einer davon ist Schuh Gerecke in Magdeburg. Der Schuhmachermeisterbetriebes wurde entgegen dem Trend 1911 gegründet und ist noch immer in Familienhand. Die Geschicke leitet Lothar Gerecke, dessen Großvater Heinrich Friedrich Willhelm Gerecke vor 106 Jahren den Grundstein legte. Der 66-Jährige hat 1986 sein Meisterstudium abgeschlossen. In Magdeburg hat er zudem zwei Jahrgänge an Schuhmachern ausgebildet und ist seit zwanzig Jahren Obermeister der hiesigen Schuhmacherinnung. „Ich habe gelernt, wie man Schuhe komplett aus Leder herstellt. Heute wird das nicht mehr praktiziert, weil es sich nicht lohnt“, bedauert Lothar Gerecke. „Es ist wirklich schade. Theoretisch können wir es.“ 1988 habe er seinen letzten Schuh selbst gefertigt.

Für den Kauf eines handgefertigten Schuhs muss man mindestens 1.000 Euro in die Hand nehmen. Hochwertiges Material und die erforderlichen Arbeitsschritte auf dem Weg zum Maßschuh haben eben ihren Preis. Dafür hält der Kunde am Ende nicht nur einen langlebigen, sondern ebenso einen perfekt sitzenden und an den individuellen Geschmack angepassten Schuh in den Händen. Sind die Wünsche geklärt, die Maße genommen und auf den Holzleisten übertragen worden, wird zunächst in einer Stepperei der Schaft hergestellt. Die für diese Oberfläche nötigen Lederteile werden ausgestanzt, zusammengenäht und unterfüttert. „Wenn man den Schaft hat, dauert es nochmal zwei Tage, bis der Schuh fertig ist“, verrät Lothar Gerecke. Nachdem der Schuster Vorder- und Hinterkappe eingesetzt hat, kommt die sogenannte Brandsohle ins Spiel. „An dieser Innensohle hängt letztendlich der gesamte Schuh. Der über den Leisten gezogene und grob geheftete Schaft wird nach und nach mit der Brandsohle verbunden“, verdeutlicht der Schuhmachermeister. Kleben, nähen, glatt schleifen. „Dann werden die Laufsohle angedoppelt und der Absatz aufgebäumt sowie Fersenpolster und Decksohle eingearbeitet. Den letzten Schliff bekommt der Schuh beim Polieren und Imprägnieren. “

Heutzutage sind Schuhe nach Maß eine Seltenheit. Lediglich die Orthopädie-Schuhmacher, bei denen der Fokus jedoch auf dem medizinischen Zweck liegt, fertigen noch individuelles Schuhwerk. „Wir sterben so langsam aus. Es bildet auch keiner mehr aus“, zeigt sich Lothar Gerecke wehmütig. Auch sein heute 46-jähriger Sohn Maik, der 1992 ins Geschäft eingestiegen ist, ist kein ausgebildeter Schuhmacher mehr, sondern lernte die für die Reparatur nötigen Handgriffe direkt von seinem Vater. Ob die Sohle abgelaufen, der Pfennigabsatz abgebrochen oder das Innenfutter aufgerieben ist – bei Schuh Gerecke wird der sonst noch gute Schuh in der eigenen Werkstatt aufbereitet. „Es ist ein Irrglaube, dass eine Reparatur sich preislich nicht lohnt. Sie ist deutlich günstiger als ein Neukauf. Und die Reparatur erfolgt bei uns aus Meisterhand“, betont Lothar Gerecke stolz. Neben Stammkunden und deren Kindern hat das Vater-Sohn-Gespann mit ihrem im Frühjahr gestarteten Online-Shop auch außerhalb der Landeshauptstadt ihre Fühler ausgestreckt. „Vor allem in den ländlichen Regionen gibt es einfach keine Schuhmacher oder Reparaturdienst mehr. Wir bieten daher einen Versand-Service an. Der Kunde wählt unter www.schuhgerecke.de die Art der Reparatur aus, bezahlt und schickt uns seinen Schuh zu. Wir bringen diesen innerhalb von zwei Tagen wieder in Schuss und senden ihn zurück“, beschreibt der Geschäftsmann. „Im Juni erst haben wir sogar Herrenschuhe aus Madrid zugeschickt bekommen“, zeigt er sich erstaunt.

Doch bei Schuh Gerecke werden nicht nur Schuhe wieder straßentauglich gemacht. Auch Klettergurte, Taschen oder Reitstiefeln werden ausgebessert sowie Reißverschlüsse eingenäht. Und da Maik und Lothar Gerecke ursprünglich eine Schlosserausbildung genossen haben, können beispielsweise auch Kofferschlösser ausgetauscht werden. Zudem wird ein Schlüsseldienst angeboten. Neben den Reparaturarbeiten wird im Ladengeschäft im Lindenplan 19 auch verkauft, worum sich vorwiegend Ehefrau und Mutter kümmert. Zu finden sind hier hochwertige Lederwaren wie Schuhe, Taschen, Gürtel und Jacken.

Zahlen & Fakten

Seit 2004 ist Schuhmacher ein zulassungsfreies Handwerk, d.h. es ist kein Qualifikationsnachweis bei der Eintragung in die Handwerksrolle mehr erforderlich. Viele Schuhmacher bieten heutzutage auch nur noch Reparaturdienste an. Einige Betriebe haben laut Jens Schumann von der Handwerkskammer Halle sehr viele Gewerke eingetragen, so dass davon ausgegangen werden könne, dass diese nicht als klassischen Schuhmacher arbeiten, sondern beispielsweise im Modehandwerke angesiedelt seien. „Die Zahl ‚echter Schuhmacher‘ sollte daher viel niedriger sein als die Statistik“, so Schumann. 1999 hat zum letzten Mal ein Auszubildender seine Lehre als Schuhmacher im Kammerbezirk Halle erfolgreich beendet, ein Jahr zuvor schloss im Kammerbezirk Magdeburg der letzte Lehrling seine Ausbildung ab.

Im Kammerbezirk Magdeburg (nördliches Sachsen-Anhalt) waren 1997 noch 71 Schuhmacher registriert, 2007 waren es nur noch 29. Aktuell (Stand 30. Juni 2017) sind es 21 Betriebe. Im Kammerbezirk Halle (südliches Sachsen-Anhalt) sind zur Zeit 23 Schuhmacherbetriebe (nur Erstgewerk) registriert und damit ebenfalls deutlich weniger als 2007 (41) und 1997 (89).

Dagegen stabil präsentiert sich die Statistik beim Blick auf die Orthopädieschuhmacher. Im südlichen Sachsen-Anhalt sank die Zahl in den letzten 20 Jahren um lediglich einen Betrieb auf 43, im nördlichen Teil des Bundeslandes wurden seit 1997 (35) nur drei Betriebe weniger gezählt.

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